Nie wieder Krieg

75. Jahrestag der schwersten Bombardierung Niederschelds

Am 25. Februar 2020 jährt sich der Jahrestag des schwersten Bombenangriffs auf Niederscheld zum 75. mal. Der folgende Bericht der Zeitzeugen Heinrich Weyl und Ehrenkommandant Adolf Ebert sollen uns Mahnung und Warnung zugleich sein. So etwas darf sich nie mehr wiederholen.

Kaum hatte man am 25. Februar 1945 morgens um 8 Uhr die Opfer des Angriffs vom 19. Februar zur letzten Ruhe gebracht, noch befand sich die Bevölkerung auf dem Friedhof, als erneut die Sirenen Alarm gaben und damit in unser Gebiet einfliegende Verbände ankündigten. Kaum das die Einwohner Zeit hatten ihre Wohnungen auszusuchen, waren schon die ersten Flieger da. Es waren Jäger, die anfingen, den Güterbahnhof Dillenburg zu beschießen und dabei einige Bomben in die Gegend warfen. Bei diesem Beschuss wurden auf dem Bahnhof zwei Wagen mit Sprengstoff getroffen, die dabei in die Luft gingen, einen Trichter von 45 m Länge und 15 m Breite hinterließen und sehr tief waren.

Nach diesem Treiben der Jäger, das etwa eine Stunde dauerte, überflog ein Verband von ca. 50 Flugzeugen unseren Ort nach. Osten bis in die Gegend von Kassel, wendete dort, überflog unser Dorf von neuem in entgegengesetzter Richtung und warf seine Bombn ab, die fast alle Häuser rechts der Dill und diejenigen an der Straße nach Dillenburg in Trümmer legten. Auch wurde dabei eine Reihe Wohnhäuser in der unteren Nixgasse und im Feld sehr stark beschädigt. Ein weiterer Anflug' desselben Verbandes mit erneutem Bombenabwurf richtete im Ort selbst keinen Schaden, dafür aber großen Flur— und Waldschaden an. Die Einwohner waren zum großen Teil in den Luftschutzbunkern der Adolfs- und Schelderhütte einige in Kellern und in den wenigen Unterkünften der Öffentlichkeit.

Dort waren sie bereits einige Stunden und sollten dieselben vorerst nicht verlassen können, denn gegen 12.30 Uhr wurden neue anfliegende Verbände gemeldet, die dann später weit im Nordwesten vorbeifliegend, gesichtet wurden. Aus diesen Verbänden löste sich ein Verband- und flog unseren Ort von Norden kommend an, formierte sich, und schon sausten die ersten Bomben nieder. Der erneute Anflug erfolgte wieder von Norden, und dieses Spiel wiederholte sich in Abständen von ca. 7-8 Minuten zehnmal, wobei jedes mal 10 Bomben abgeworfen wurden. Die Zerstörung unseres Dorfes und der Adolfshütte war groß, während die Zerstörungen an der Bahn nicht in demselben Maße waren. Eine große Zahl von Wohnhäusern und Scheunen im mittleren Dorf waren verschwunden.

Aus den Trümmern ragte der Kirchturm der sehr stark beschädigten Dorfkirche hervor. Nicht allein das Dorf mit seiner Kirche war in Mitleidenschaft gezogen, auch die Toten auf dem Friedhof hatte man nicht verschont. Eine Reihe von Bomben hatte auf und um den Friedhof den Boden umgewühlt, die Leichenhalle zerstört sowie eine Reihe von Gräbern ausgehoben, ein Anblick tiefsten Schauderns.

Wiederum waren einige Opfer zu beklagen. Niedergeschlagen war auch die Bevölkerung. Wortlos saßen die meisten in der kommenden Nacht in den Luftschutzstellen der beiden Hüttenwerke, jeder mit seinem eigenen Los beschäftigt.

Mancher verlor an diesem Tag alles was er sich In einem ganzen Leben erarbeitet hatte. Draußen aber im. Ort waren fleißige und hilfsbereite Menschen aus den Nachbarorten Oberscheld, Eibach und Burg mit den Einheimischen an der Arbeit, um die Trümmer der Häuser abzuräumen, unter denen sich noch Menschen teils lebend, teils tot, befanden. Unter ihnen befanden sich auch unsere Kameraden der Altersabteilung, der frühere Hornist, Schuhmachermeister Heinrich Preis und Lokführer Otto Wagner, beide eifrige Feuerwehrkameraden, die jahrelang im aktiven Dienst ihren Mann standen. Letzterer konnte erst Tage später aus den Trümmern seines Hauses geborgen werden. Ehre ihrem Andenken!

Nach diesem Angriff musste erstmals die Feuerwehr eingesetzt werden, weil hierbei einige leichte Brände entstanden, die aber schnell abgelöscht werden konnten. Ein geschlossener Einsatz war aber dabei nicht möglich. Jeder tat das, was er für richtig hielt, zumal jeder mit sich und seinem Anwesen zu tun hatte. Was sich hierbei zeigte war das sich alle Geräte in einsatzbereitem Zustand befanden, ein Zeichen, dass die wenigen Feuerwehrmänner auf dem Posten waren. Noch an demselben Tag begann der Auszug der Bevölkerung in alle Richtungen, denn die neigten Leute hatten keine Unterkunft mehr. Neben den ganz zerstörten Häusern war der größte Teil stark beschädigt. Es war ein Bild tiefsten Rührens, die in diesen Tagen ausziehenden Niederschelder zu sehen. Auf allen möglichen Fahrzeugen hatten sie ihre Habe aufgeladen und zogen von dannen. Neben Lastwagen sah man Kuhfahrzeuge, Handwagen, Schiebkarren, eben alles was Räder hatte war gut genug um nur aus dem Bereich des Schreckens zu kommen. Tags kamen sie zum Teil zurück, um aus den Trümmern noch zu holen, was zu retten war.

Nachts war das Dorf öde und leer, nur Einzelne hielten Wacht, um immer wieder aufflammende Brände zu unterdrücken. Nachts den Feuerschutz übernehmend, tags ihrer Arbeit nachgehend, das war das, was in diesen Tagen eine kleine Gruppe von Feuerwehrmännern tat. Abends kamen sie aus den umliegenden Orten, in denen sie untergebracht waren, herbei, ohne aufgefordert zu werden. Oft war es nur ein einzelner Mann, der einsam in den Trümmern stand. Er war Maschinist und Strahlrohrführer zugleich. Die Geräte waren fast ständig im Einsatz und arbeiteten, abgesehen von kleineren Störungen, ausgezeichnet. Tagelang waren dieselben an der Kirche aufgestellt, bis sie dort abgezogen werden konnten und im Spritzenhaus zu neuem Einsatz bereitstanden. Haushohe Trümmerhaufen, überall zerschlagene Fenster und Türen, aufgerissene und teil herunterhängende Dächer die Straßen teils durch Bombentrichter und umherliegende Trümmer versperrt. Das war das Bild, ein Bild des Grauens und Entsetzens, das sich nach diesem schwersten Angriff auf Niederscheld uns allen bot. Schwere Zerstörungen zeigten sich nach diesem Angriff auch auf der Adolfshütte und auf dem Bahnhof. Noch sollte dies aber nicht der letzte Angriff auf unser Dorf gewesen sein. Fast täglich fielen nun um unseren Ort Bomben. Die Menschen wohnten fast nur noch Tag und Nacht in Bunkern. Berge von Trümmern lagen da, wo einst fleißige Menschen wohnten, wo sie arbeiteten, wo sie im Kreise ihrer Familien glücklich waren. Tagelang immer wiederkehrende Luftangriffe hatten unser Dorf, die Adolfshütte und den südlichen Bahnhof Dillenburg in ein Land des Grauens verwandelt. Die Bewohner waren zum größten Teil ausgezogen, oder besser gesagt, in alle Winde verstreut. Man wusste kaum, wo sein nächster Nachbar untergekommen war. Die Gesamtzahl der sich damals noch im Dorf befindlichen Einwohner lag um diese Zeit bei ca. 80 Menschen.

Fotos: Fotoclub Niederscheld